Over the Fence
Juna Wesley
Lisa Lurati
Luzian Messmer
Maya Olah
Michael Tulio
Sara De Brito Faustino
14. November – 12. Dezember 2025
Ein Türspalt, ein offenes Fenster, Licht, das durch den Schlitz eines Vorhangs fällt. Ein Geruch, war es der, an den wir uns erinnern? Von weit her, Kindheit vielleicht, zuhause, Wärme. Ein Lachen, hallend, verklingend. Windspiele, glockenhell, und doch manchmal beinahe unheimlich still.
Was umgibt uns eigentlich im Alltag und wer ist uns dabei am nächsten?
Over the Fence blickt über den Zaun und fragt nach dem, was zwischen uns liegt: die Zwischenräume, die Ritzen, die feinen Fäden, die unsere Leben miteinander verknüpfen. Nachbarschaft als Ökosystem, als Schwarm, als lebendiges Gewebe aus Menschen, Tieren, Dingen, Erinnerungen. Nichts steht für sich. Wir sind immer viele, immer in Beziehung, immer ein Gegenüber.
Auch Lisa Luratis Wesen – Bienen und Sterne, wie sie sie selbst nennt – sind viele. Sie bevölkern unsere Wände, aus Bronze, filigran und doch steinern. Sie hängen, schwärmen, fliegen, ein Gemurmel, Murmur, ein Flüstern, vielleicht sogar hinter vorgehaltenen Händen, hätten sie welche. Nie allein, immer in Bewegung. Zwischen Innen und Aussen, Traum und Realität, Realität und Erinnerung. Sie sind da – und schon wieder fort. Und doch bleibt etwas, eine Spur, ein unsichtbarer Faden. Sie suchen ihre Doppelgänger, jene, die gleichzeitig anderswo im Tessin ausgestellt sind und existieren. Rufen einander, sind unvollständig allein, vollständig nur im Schwarm. Wann wird der Schwarm unheimlich? Wenn er zu nah kommt? Wenn er zu sehr nach uns aussieht?
Auch Michael Tulio sucht nach diesen Momenten des Zusammenseins. Dort, wo Gemeinschaft entsteht und wieder verlischt. Ein Zündhölzli genügt: schnell brennt es, schnell ist es wieder aus. I han es Zündhölzli azündt, I han keis Zündhölzli azündt und das dazwischen, die Erinnerung an ein loderndes Feuer, Aufruhr im Quartier, hätte man das Streichholz nicht vom Teppich genommen. Tulios Arbeit spielt mit dem Dazwischen, mit dem «Was wäre, wenn»? Schon jemals mit dem aberwitzigen und zugleich befreienden Gedanken gespielt, ein Feuer zu legen? Die Beweismittel, Spuren des Brandes mitten unter uns, Russ in dem Dazwischen, an unseren Händen: Brandstifter:innen. Ein Lied klingt nach, das man früher im Quartier gemeinsam gesungen hat, Mani Matter, der Nachbar, der zu früh verschwunden ist. Tulios Arbeiten reihen sich: Streichhölzer, Glied an Glied. Schweizer Eigenheit, Humor, Sprache, Ironie – Flammen, die im Alltäglichen züngeln.
Sara De Brito Faustinos Constructed Memory führt uns in andere Räume. Ihre Arbeiten wirken wie leise Stillleben – Küchen, Wohnzimmer, vertraute Szenen. Doch etwas stimmt nicht. De Brito zwingt uns genauer hinzuschauen, zwischen die Fragmente ihrer Foto-Collage. Dabei quellen andere Bilder hervor: Ökosysteme, Erinnerungsreste, Gespenster, Schatten. Ein Film legt sich über unsere Erinnerung und je genauer wir hinschauen, desto mehr entgleitet uns das einst scharf umrissene Bild. Erinnerung als unvollkommene Reproduktion, als Fälschung, als etwas, das sich selbst erzählt und dabei verändert. Wir konstruieren und rekonstruieren, möchten uns erinnern, verdrängen und ermächtigen uns, entledigen uns und erschaffen dabei Geschichten unseres Selbst neu. De Brito schafft mit Constructed Memory Räume, in denen Erinnerung selbst ein Schwarm ist – vielstimmig, kontaminiert, nie allein.
Auch Juna Wesleys Arbeit With-hold trägt Spuren von Gemeinschaft. Ihre entlang der Wand aufgereihten Werke bestehen aus Glycerin – einem Material, das uns aus der Seifenherstellung vertraut ist. Ein Material, das eine stille und doch beständige Eigendynamik entfaltet: Es atmet, verändert sich, zieht Feuchtigkeit. Wesleys Objekte lassen sich nicht abgrenzen. Sie verschmelzen mit der Wand, mit der Luft, mit uns. In ihnen stecken die Reste anderer, Spuren, Materialien und Hände, die zuvor anderes geformt hatten. Wesley eignete sich Material anderer Künstler:innen an, machte sich damit vertraut, lud sie ein – be my guest –, verwandelte es in Objekte der Gegenwart und zugleich in Gefässe der Vergangenheit. Sie halten und werden gehalten. Wie wir, im täglichen Privatraum, im Reinigen, im Berühren, im Versuch, uns voneinander zu trennen, ohne es je ganz zu schaffen.
Wir sind kontaminiert voneinander. Wir erinnern uns gemeinsam und werden in der Erinnerung des jeweils anderen konstruiert. Wir wiederholen uns. Wir spiegeln uns. Wir sehnen uns nach einem Gegenüber.
Sehen wir jetzt die Gesichter in den Schwärmen? Gespenster anderer Ökosysteme und Welten, Superorganismen. Und so finden wir uns gemeinsam mit dem Zürcher Imker Luzian Messmer an kalten Abenden im Garten ein – angelockt vom Duft des Bienenwachses in der Luft und seinen summenden Erzählung über die Bienen, jene Wesen, die als Kollektiv einen einzigen Organismus bilden. Mit Erfahrung und Hingabe lädt Messmer zum gemeinsamen Kerzenziehen ein: ein leiser Moment des Erinnerns an jene Geschöpfe, ohne die unsere Welt aus den Fugen geriete. Der Bien.
Aus einer anderen Wohnung, hinter einer anderen Wand, hört man eine Stimme – die von Maya Olah. Ihre geschriebenen und gesprochenen Worte, ihre Zines zum Mitnehmen, erzählen vom Auseinanderfallen von Häusern, von Fluten und Bränden, von Nachbar:innen, die sich verbarrikadieren, von der Suche nach einem Neuanfang inmitten des Untergangs. In ihren Texten wird die Gemeinschaft zu einer Überlebensfrage: Wer bleibt, wenn alles untergeht? Wer erinnert sich an wen? Auch hier treten Schwärme von Erzählungen auf, Stimmen, die sich überschneiden, wiederholen, verdoppeln. Monumente der Freundschaft, eingebunkerte Herzen.
Over the Fence ist so selbst ein Geflecht – ein Raum aus Stimmen, Objekten, Erinnerungen. Ein Experiment über das Nebeneinander, das Durchdringen, das Gleichzeitige.
Hier, in diesem neuen Kunstraum,
begegnen sich die Nachbar:innen zum ersten Mal.
Über den Zaun hinweg.
Und manchmal, wenn wir genau hinsehen,
erkennen wir uns auf der anderen Seite.
Juna Wesley
Lisa Lurati
Luzian Messmer
Maya Olah
Michael Tulio
Sara De Brito Faustino
14. November – 12. Dezember 2025
Ein Türspalt, ein offenes Fenster, Licht, das durch den Schlitz eines Vorhangs fällt. Ein Geruch, war es der, an den wir uns erinnern? Von weit her, Kindheit vielleicht, zuhause, Wärme. Ein Lachen, hallend, verklingend. Windspiele, glockenhell, und doch manchmal beinahe unheimlich still.
Was umgibt uns eigentlich im Alltag und wer ist uns dabei am nächsten?
Over the Fence blickt über den Zaun und fragt nach dem, was zwischen uns liegt: die Zwischenräume, die Ritzen, die feinen Fäden, die unsere Leben miteinander verknüpfen. Nachbarschaft als Ökosystem, als Schwarm, als lebendiges Gewebe aus Menschen, Tieren, Dingen, Erinnerungen. Nichts steht für sich. Wir sind immer viele, immer in Beziehung, immer ein Gegenüber.
Auch Lisa Luratis Wesen – Bienen und Sterne, wie sie sie selbst nennt – sind viele. Sie bevölkern unsere Wände, aus Bronze, filigran und doch steinern. Sie hängen, schwärmen, fliegen, ein Gemurmel, Murmur, ein Flüstern, vielleicht sogar hinter vorgehaltenen Händen, hätten sie welche. Nie allein, immer in Bewegung. Zwischen Innen und Aussen, Traum und Realität, Realität und Erinnerung. Sie sind da – und schon wieder fort. Und doch bleibt etwas, eine Spur, ein unsichtbarer Faden. Sie suchen ihre Doppelgänger, jene, die gleichzeitig anderswo im Tessin ausgestellt sind und existieren. Rufen einander, sind unvollständig allein, vollständig nur im Schwarm. Wann wird der Schwarm unheimlich? Wenn er zu nah kommt? Wenn er zu sehr nach uns aussieht?
Auch Michael Tulio sucht nach diesen Momenten des Zusammenseins. Dort, wo Gemeinschaft entsteht und wieder verlischt. Ein Zündhölzli genügt: schnell brennt es, schnell ist es wieder aus. I han es Zündhölzli azündt, I han keis Zündhölzli azündt und das dazwischen, die Erinnerung an ein loderndes Feuer, Aufruhr im Quartier, hätte man das Streichholz nicht vom Teppich genommen. Tulios Arbeit spielt mit dem Dazwischen, mit dem «Was wäre, wenn»? Schon jemals mit dem aberwitzigen und zugleich befreienden Gedanken gespielt, ein Feuer zu legen? Die Beweismittel, Spuren des Brandes mitten unter uns, Russ in dem Dazwischen, an unseren Händen: Brandstifter:innen. Ein Lied klingt nach, das man früher im Quartier gemeinsam gesungen hat, Mani Matter, der Nachbar, der zu früh verschwunden ist. Tulios Arbeiten reihen sich: Streichhölzer, Glied an Glied. Schweizer Eigenheit, Humor, Sprache, Ironie – Flammen, die im Alltäglichen züngeln.
Sara De Brito Faustinos Constructed Memory führt uns in andere Räume. Ihre Arbeiten wirken wie leise Stillleben – Küchen, Wohnzimmer, vertraute Szenen. Doch etwas stimmt nicht. De Brito zwingt uns genauer hinzuschauen, zwischen die Fragmente ihrer Foto-Collage. Dabei quellen andere Bilder hervor: Ökosysteme, Erinnerungsreste, Gespenster, Schatten. Ein Film legt sich über unsere Erinnerung und je genauer wir hinschauen, desto mehr entgleitet uns das einst scharf umrissene Bild. Erinnerung als unvollkommene Reproduktion, als Fälschung, als etwas, das sich selbst erzählt und dabei verändert. Wir konstruieren und rekonstruieren, möchten uns erinnern, verdrängen und ermächtigen uns, entledigen uns und erschaffen dabei Geschichten unseres Selbst neu. De Brito schafft mit Constructed Memory Räume, in denen Erinnerung selbst ein Schwarm ist – vielstimmig, kontaminiert, nie allein.
Auch Juna Wesleys Arbeit With-hold trägt Spuren von Gemeinschaft. Ihre entlang der Wand aufgereihten Werke bestehen aus Glycerin – einem Material, das uns aus der Seifenherstellung vertraut ist. Ein Material, das eine stille und doch beständige Eigendynamik entfaltet: Es atmet, verändert sich, zieht Feuchtigkeit. Wesleys Objekte lassen sich nicht abgrenzen. Sie verschmelzen mit der Wand, mit der Luft, mit uns. In ihnen stecken die Reste anderer, Spuren, Materialien und Hände, die zuvor anderes geformt hatten. Wesley eignete sich Material anderer Künstler:innen an, machte sich damit vertraut, lud sie ein – be my guest –, verwandelte es in Objekte der Gegenwart und zugleich in Gefässe der Vergangenheit. Sie halten und werden gehalten. Wie wir, im täglichen Privatraum, im Reinigen, im Berühren, im Versuch, uns voneinander zu trennen, ohne es je ganz zu schaffen.
Wir sind kontaminiert voneinander. Wir erinnern uns gemeinsam und werden in der Erinnerung des jeweils anderen konstruiert. Wir wiederholen uns. Wir spiegeln uns. Wir sehnen uns nach einem Gegenüber.
Sehen wir jetzt die Gesichter in den Schwärmen? Gespenster anderer Ökosysteme und Welten, Superorganismen. Und so finden wir uns gemeinsam mit dem Zürcher Imker Luzian Messmer an kalten Abenden im Garten ein – angelockt vom Duft des Bienenwachses in der Luft und seinen summenden Erzählung über die Bienen, jene Wesen, die als Kollektiv einen einzigen Organismus bilden. Mit Erfahrung und Hingabe lädt Messmer zum gemeinsamen Kerzenziehen ein: ein leiser Moment des Erinnerns an jene Geschöpfe, ohne die unsere Welt aus den Fugen geriete. Der Bien.
Aus einer anderen Wohnung, hinter einer anderen Wand, hört man eine Stimme – die von Maya Olah. Ihre geschriebenen und gesprochenen Worte, ihre Zines zum Mitnehmen, erzählen vom Auseinanderfallen von Häusern, von Fluten und Bränden, von Nachbar:innen, die sich verbarrikadieren, von der Suche nach einem Neuanfang inmitten des Untergangs. In ihren Texten wird die Gemeinschaft zu einer Überlebensfrage: Wer bleibt, wenn alles untergeht? Wer erinnert sich an wen? Auch hier treten Schwärme von Erzählungen auf, Stimmen, die sich überschneiden, wiederholen, verdoppeln. Monumente der Freundschaft, eingebunkerte Herzen.
Over the Fence ist so selbst ein Geflecht – ein Raum aus Stimmen, Objekten, Erinnerungen. Ein Experiment über das Nebeneinander, das Durchdringen, das Gleichzeitige.
Hier, in diesem neuen Kunstraum,
begegnen sich die Nachbar:innen zum ersten Mal.
Über den Zaun hinweg.
Und manchmal, wenn wir genau hinsehen,
erkennen wir uns auf der anderen Seite.
Kuration:
Arsen33 – Norma Rizzo, Selina Schlumpf & Francisca Patrocínio
Fotografie:
Alexandra Ziegler
Nuno Sarmento (Photograph of With-hold by Juna Wesley)
Arsen33 – Norma Rizzo, Selina Schlumpf & Francisca Patrocínio
Fotografie:
Alexandra Ziegler
Nuno Sarmento (Photograph of With-hold by Juna Wesley)